Zur Schrift: Tikal Sans

In jeder Ausgabe wird der Titel des Schwerpunktthemas in einer anderen Schrifttype gesetzt, diesmal in der Tikal Sans. Miguel Hernández schnitt sie 2012 für Latinotype, eine der erfolgreichsten Schriftschneidereien Lateinamerikas, genauer gesagt in Concepción und Santiago, Chile. Latinotype versucht „kulturelle Identität“ in Schrift zu akzentuieren, da die meistbenutzten Schriften in Lateinamerika aus Europa und aus den USA kommen. Tikal Sans trägt den Namen der größten Stadt der Mayas in der klassischen Periode und basiert auf der Hieroglyphe für „das gesprochene Wort“. Aber hier geht es um eine andere Transfergeschichte von Schrift. Der Ethnologe Yuri Knórozov (1922–1999) schrieb in den 1950er Jahren in der UdSSR mehrere Arbeiten zur „antiken“ Schrift der Mayas (die bis zum
17. Jahrhundert in Verwendung war!). Er stellte die These auf, dass die Maya-Schrift eine Mischung aus logographischen und phonetischen Zeichen ist. Die heute fast vollkommene Dechiffrierung der Maya-Schrift, die vor ca. 40 Jahren begann, basiert auf seinen Erkenntnissen. Knórozov kam in den 1990er Jahren erstmals nach Mexiko und Guatemala. Aber sein Beitrag für das Verständnis der (präkolumbianischen) Geschichte der Mayas ist für die heutigen direkten Nachfahren dieser Kultur – der etwa die Hälfte der GuatemaltekInnen, aber auch ein Großteil der Bevölkerung Südmexikos angehören – unabdingbar. Dass seine Thesen im Kalten Krieg durch den (damals) renommierten US-Amerikanischen Maya-Forscher Eric Thompson als marxistische Propaganda herabgewürdigt wurden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie; Knórozov wurde dadurch bis in die 1970er Jahre im Westen wenig Beachtung geschenkt.