Feminismus als Herausforderung für die Cultural Studies

Es würde den komplexen und umkämpften Realitäten nicht gerecht werden, würde man behaupten, das Verhältnis zwischen Feminismus und Cultural Studies sei immer einfach gewesen. Stuart Hall beschreibt den Einfluss des Feminismus auf die Cultural Studies in Cultural Studies and Its Theoretical Legacies in dieser einprägsamen Passage:

„Ich benutze die Metapher ganz bewusst: Als nächtlicher Dieb brach er [der Feminismus] ein; störte, machte ein ungehöriges Geräusch, beschlagnahmte die Zeit und kackte auf den Tisch der Cultural Studies.“[1]

Das Eindringen des Feminismus in die Cultural Studies, so Hall weiter, destabilisierte die besten Absichten „guter, transformierter“ Männer: „jeder einzelne unerwartete Widerstand trat an die Oberfläche – komplett installierte patriarchale Macht, die von sich selbst glaubte, damit nichts zu tun zu haben.“[2] Der Sprache nach zu urteilen, die Hall benutzt, um den anscheinend rauen Einbrecherinnen-Einsatz zu beschreiben, war der Einfluss auf die Cultural Studies grundlegend. Auch rund zwanzig Jahre später erinnert uns Halls eingestandenermaßen unfreiwilliger Gebrauch solch derber Metaphern noch daran, dass der Eintritt des Feminismus in die Cultural Studies als Einmischung erfahren wurde – als unerfreuliche zudem. […]

Ansprüche der Cultural Studies …

Beeinflusst von WissenschaftlerInnen aus den Cultural Studies wie Raymond Williams und eben Hall, die die Arbeit der Übersetzung zwischen dem Intellektuellen und dem Popularen als entscheidend betrachteten, habe ich solche Einmischungen immer ernst genommen, auch wenn ich nicht unbedingt mit ihnen übereinstimmte. Und letztlich hatte ich die Gelegenheit, mich selbst als diese albtraumhafte Stimme der Einmischung zu fühlen, als ich auf Konferenzen seriöse Cultural Studies-Wissenschaftler nach der Rolle von gender-Analysen und feministischer Theorie in ihrer eigenen Arbeit fragte. Meist waren sie geduldig gegenüber meinen Fragen, so geduldig wie man einer alten, schwerhörigen Tante gegenüber ist, auch wenn klar war, dass sie fanden, die Frage sei ziemlich unfair – ja eigentlich hinterhältig – oder schlicht irrelevant. Wie vorherzusehen war, verwiesen sie mich dann auf die Arbeiten feministischer Wissenschaftlerinnen, indem sie sagten, „(hier den Namen einer relevanten feministischen Wissenschaftlerin einfügen) hat darüber geschrieben“, womit sie ihre Vertrautheit mit der feministischen Forschung demonstrierten, während sie gleichzeitig, indem sie deutlich machten, dass sie sich bei intellektueller Arbeit nicht selbst damit beschäftigen müssten, eine sexuelle Arbeitsteilung betrieben. Mit anderen Worten, rund dreißig Jahre, nachdem wir auf den Tisch der Cultural Studies gekackt haben, beschränkt sich feministische Forschung in diesen im Wesentlichen auf die Arbeit einer handvoll Wissenschaftlerinnen; gleiches könnte im Übrigen für die People of Color-WissenschaftlerInnen gesagt werden. […]

Für marxistische Feministinnen erlaubte das Aufkommen der Cultural Studies in den USA, die Hegemonie der Psychoanalyse innerhalb der Filmtheorie und den Media Studies herauszufordern – und förderte dies in einigen Fällen sogar. Cultural Studies erlaubten es uns, marxistische Theorie ernstzunehmen, ohne sie verallgemeinernd als reduktionistisch abzutun. Darüber hinaus betrachteten die Cultural Studies populare Kultur als legitimen Forschungsgegenstand, was es feministischen Forscherinnen erlaubte, Rezeptionsweisen auf komplexere und kontextualisierendere Art und Weise in den Blick zu nehmen. Vom hermeneutischen Ansatz der feministischen Film- und Fernsehanalyse frustriert und von ihrem inhärenten Androzentrismus und Ahistorizismus befremdet, boten die Cultural Studies für an popularen Kulturen und Medien orientierten Fenministinnen einen Ausweg aus diesen zahllosen Sackgassen. […]

Allerdings wurden die Cultural Studies dann innerhalb der Filmstudien und in den Literaturwissenschaften institutionalisiert […]. Die institutionalisierte Marke Cultural Studies hatte nicht mehr viel mit dem zu tun, was ich darunter verstanden hatte. Einerseits waren sie an hermeneutische Lesweisen und Interpretationen gebunden, die mit interdisziplinärer Forschung grundsätzlich inkompatibel sind. […] Andererseits wurden die Cultural Studies stark depolititisert. […]

… und ihre Erneuerung

Die in den Cultural Studies angewandten Strategien, die Strukturen und Funktionen der Wissensproduktion zu überdenken, könnten wichtige Werkzeuge bei dem Bemühen sein, Gender-Perspektiven im Mainstream der Universität zu verankern. Ursprünglich teilten WissenschaftlerInnen und ForscherInnen aus den Cultural Studies nämlich eine bestimmte Grundhaltung mit feministischer Theorie: Ihre Arbeit war interdisziplinär, kollaborativ, selbstreflexiv und politisch engagiert. Diese vier Begriffe konstituieren sich gegenseitig: Interdisziplinarität und Zusammenarbeit sind untrennbar miteinander verknüpft, während Selbstreflexivität nicht nur eine notwendige Komponente effektiven politischen Engagements ist, sondern nur durch Kollaborationen sinnvoll praktiziert werden kann.

Hinsichtlich interdisziplinärer Arbeit wurde mir klar, dass wirkliche Interdisziplinarität die Zusammenarbeit mit ForscherInnen außerhalb der eigenen Disziplin erfordert. Ich mag zwar aus der Literatur und den Forschungen anderer Disziplinen in meiner eigenen Arbeit profitieren, aber der Dialog mit Leuten aus Fachbereichen, die sich nicht auf dieselben Traditionen beziehen, erlaubt mir Gegenstandsbereiche und Ideen wahrzunehmen und zu verstehen, die ansonsten außerhalb meines Bezugrahmens bleiben würden. Zusammenarbeit bringt nicht nur ein besseres Verständnis für die Grenzen disziplinären Wissens und disziplineigener Methoden mit sich, sondern ermöglicht auch ein Geben und Nehmen und eine Perspektivenvielfalt, die von einer/einem einzelnen ForscherIn kaum zu entwickeln sind. Allerdings sollte auch gesagt sein, dass die institutionellen Politiken und Imperative es Leuten in den Humanwissenschaften sehr schwer machen, kollaborativ zu arbeiten. Das war lange Zeit auch der Hauptgrund dafür, dass solche Art von Arbeit überhaupt nicht angegangen und nicht wertgeschätzt wurde. […]

Wenn wir darin übereinstimmen, dass Interdisziplinarität, Kollaboration, Selbstreflexivität und politisches Engagement wichtige Charakteristika der Cultural Studies sein sollen – wobei mir die Fragilität dieses „wir“ ebenso bewusst ist wie das Ausmaß des „wenn“ –, dann brauchen wir eine Auseinandersetzung darüber, wie neue, möglicherweise außerinstitutionelle Konfigurationen von Cultural Studies aussehen könnten, wie wir die einst von den Cultural Studies versprochenen Forschungsarbeiten und Aktivitäten unterstützen können und wie der Feminismus im Zentrum der Cultural Studies etabliert werden kann.

Statt zum Normalbetrieb überzugehen – all die Projekte, die der Distinktion und der Abgrenzung im Sinne der Eigenwerbung und dem beruflichen Weiterkommen dienen –, sollten diejenigen von uns, die sich den Versprechen der Cultural Studies von einerseits Interdisziplinarität und Zusammenarbeit und andererseits Selbstreflexivität und politischem Engagement verpflichtet fühlen, lieber ruhig und bestimmt Formen der Forschung entwickeln, die Sexismus, Rassismus und Klassenprivilegien herausfordern. Und zwar in den eigenen Forschungsarbeiten, in der Lehre, in den institutionellen Praktiken und im Alltag. Statt die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zu betonen, sollten wir sie praktizieren. Statt über Selbstreflexivität zu reden, sollten wir sie innerhalb unserer Arbeit entwickeln. Anstatt wettbewerbsorientierte Konferenzen abzuhalten, die die traditionellen Modelle nationaler und internationaler Organisationen wie der Modern Language Association oder der American Studies Association replizieren, sollten wir vielleicht bescheidenere Veranstaltungen organisieren, die sich an den kollektiv für drängend gehaltenen Themen und Problemstellungen ausrichten. Statt einfach zu hoffen, dass Kollaborationen sich magisch und organisch aus einer traditionellen Konferenz ergeben, könnten wir Veranstaltungen machen, die solche Aktivitäten tatsächlich erleichtern. Anstatt Zeitschriften zu produzieren, die auf dem alten Terrain der editorischen Kontrolle und der peer review-Verfahren in Wettbewerb treten, sollten wir vielleicht über Plattformen nachdenken, die lebendiger, interaktiver, einbe- ziehender und zugänglicher sind und die über bestehende Institutionen hinausgehen. Und unsere institutionellen Praktiken müssen unsere intellektuellen Praktiken spiegeln; ansonsten bleiben letztere hinsichtlich des emanzipatorischen Potenzials des Wissens nichts als leere Versprechungen.

Eines der letzten Bücher, das der französische Soziologe Pierre Bourdieu geschrieben hat, war Die Männliche Herrschaft (1998, dt. 2005). Er gab verschiedene Gründe dafür an, dieses Buch geschrieben zu haben – Antworten an Feministinnen, die, wie ich auch, die Abwesenheit von Geschlechterverhältnissen in seinen Studien moniert hatten; ein Bewusstwerden darüber, dass Geschlecht vielleicht die am meisten determinierende soziale Kategorie ist; ein Ansatz, um mit dem Charakter und den Ursprüngen von Sexismus umzugehen. Ich denke, er hat das Buch auch geschrieben weil er aufgrund seines Status als prominenter französischer Soziologe und öffentlicher Intellektueller wusste, dass es die Aufmerksamkeit auf Inhalte richtete, die ihm wirklich am Herzen lagen. Das Buch war ein Ansatz, um sich der Verantwortung gegenüber der Analyse männlicher Herrschaft zu stellen, anstatt zu erwarten, dass sie allein von Frauen erledigt wird. Diese Erwartung unterstreicht noch einmal Stuart Halls Erfahrungen am Centre for Contemporary Cultural Studies in den 1970er Jahren, als Männer „dachten, es sei an der Zeit, dass es gute feministische Arbeiten in den Cultural Studies gibt“, diese Arbeit aber selbst nicht machen wollten. Und, wie Hall es später formuliert, „wir versuchten, sie einzukaufen, sie zu importieren und feministische Forscherinnen anzuwerben. Wie zu erwarten war, waren viele der Frauen in den Cultural Studies nicht wahnsinnig interessiert an diesem wohlmeinenden Projekt.“[3]

Interessanter und potentiell radikaler wäre es, wenn männliche Cultural Studies-Forscher diese Arbeit selbst übernehmen würden – ihre eigene Beziehung zu Geschlecht, männlichen Privilegien und Feminismus zu reflektieren; und wenn heterosexuelle ForscherInnen sich mit Heteronormativität auseinandersetzen würden; und wenn weiße ForscherInnen reflektierten, welche Funktion „race” und Ethnizität im Verhältnis zu ihren Studienobjekten einnehmen. Wohlmeinende, additive Projekte mögen weniger bedrohlich sein, aber letztlich bieten sie keinen Weg der Erneuerung an.


Carol A. Stabile ist Direktorin des Center for the Study of Women in Society und Professorin an der School of Journalism and Communication der Universität von Oregon in Portland/ USA.

Dies ist eine stark gekürzte Version des Textes The Nightmare Voice of Feminism. Feminism and Cultural Studies, in: Paul Smith (Hg.): The Renewal of Cultural Studies. Philadelphia: Templre University Press 2011, S. 17–27.

Aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.


[1] Stuart Hall: Cultural Studies and Its Theoretical Legacies. In: Lawrence Grossberg, Cary Nelson, Paula Treichler (Hg.): Cultural Studies. New York: Routledge 1992, S. 277–294, hier S. 282.

[2] Ebd.

[3] Ebd., S. 83.