Guelaguetza

Zwischen Identität, Macht und Kultur des Widerstands

Das traditionelle Fest der Guelaguetza ist ein Volksfest, bei dem Identitäten, sozialer Zusammenhalt und ein multikultureller Austausch der Kulturen aus Oaxaca ihren Ausdruck finden. Unklar ist, ob die Guelaguetza ihren Ursprung in prähispanischen Festivitäten hat. Auf jeden Fall aber wird sie in den ersten Chroniken während der Zeit der spanischen Kolonien mit dem Namen Los Lunes del Cerro („die Montage auf dem Berg“) erwähnt. Der Name Los Lunes del Cerro ist darauf zurückzuführen, dass die Festivitäten auf dem Cerro del Fortín mitten im Zentrum von Oaxaca- Stadt stattfanden. Gefeiert wurde zu Ehren der Heiligen Jungfrau Carmen an den zwei Montagen, die dem 16. Juli folgen (Lizama Quijano, 2006: 124–125). Bei dem Fest gab es klar definierte soziale und kulturelle Kategorien, die sich durch Kleidung (Kostüme) und Bräuche manifestierten und identitätsbildend waren. Die Kategorien nahmen Bezug auf die wirtschaftlichen und kulturellen Ebenen der verschiedenen Volksgruppen aus Oaxaca und fanden zum Beispiel ihren Ausdruck in den Chinas (indigene Frauen, die auf den Märkten des Valle Central von Oaxaca ihre Waren verkauften), den Charros (Mestizen aus der Oberschicht), den Opfergaben (die von den Indigenas und Mestizen der Unterschicht dargebracht wurden) und in den Catrines (Criollas und Mestizinnen der Oberschicht/Bourgousie) (Quijano, 2006:123-124). Laut Stuart Hall geht Identität aus der Narrativierung des Selbst hervor, aber die notwendige fiktionale Natur dieses Prozesses unterminiert in keiner Weise ihre diskursive, materiale und politische Effektivität, selbst wenn die Zugehörigkeit, das „nahtlose Einschreiben in die Erzählung“, teilweise im Imaginären (wie im Symbolischen) verbleibt. Identität ist daher immer teilweise in der Phantasie konstruiert oder letztlich innerhalb eines phantasmatischen Feldes (Hall, 2010: 171).

Im 19. Jahrhundert entsteht in Mexiko der Nationalstaat und damit beginnt die Suche nach einer eigenen bzw. nationalen Identität. Auf diskursiver Ebene kommt es zu einer Aneignung der indigenen Kultur als eine Positionierung der mexikanischen Identität. Das Fest Los Lunes del Cerro wird zu einem Werkzeug politischer Interessen, die sich diese Romantisierung von (nationalen und regionalen) Identitäten zunutze machen. Im Kontext von Bourdieus Theorie zeigt uns das Fest, wie jeder kulturelle Bereich im Wesentlichen ein Raum im Kampf um die Aneignung von symbolischem Kapital ist (vgl. Bourdieu, 1987: 222–245). Und Hall meint, dass „Identitäten innerhalb des Spiels von bestimmten Machtformen hervor[treten], was vielmehr ein Effekt der Kennzeichnung von Differenz und Ausschluss denn ein Zeichen einer identischen, natürlich konstituierten Einheit – eine ‚Identität’ in ihrer traditionellen Bedeutung: eine alles einschließende Gleichheit, bruchlos, ohne innere Unterscheidung – ist“ (Hall, 2010: 171).

1928 wird der Name des Festes auf Fiesta de la Azucena geändert und die Indigenas wurden eingeladen, in ihren traditionellen Kostümen zu kommen und mitzufeiern. Oft legten die Organisatoren selbst sogar fest, „wie“ und „was“ sie tragen und welche Tänze sie präsentieren sollten. So sind die „Einheiten“, die Identitäten verkünden, tatsächlich innerhalb des Spiels der Macht und des Ausschlusses konstruiert. Identitäten sind nicht das Ergebnis einer natürlichen und unvermeidlichen oder ursprünglichen Totalität, sondern das eines naturalisierten, überdeterminierten Prozesses der „Schließung“ (Hall, 2010: 172).

1948 wird schließlich der Sinn des Festes zum ersten Mal in Frage gestellt und es wird darüber reflektiert, wie die ursprünglich traditionellen Feierlichkeiten im Laufe der Zeit zu einem Spektakel verkommen konnten. Die Organisatoren entschieden sich damals letztlich dafür, dem Fest wieder den Charakter einer Romeria (Prozession und Kirmes) zu geben (Quijano, 2006: 131–132).

Das aktuelle Konzept des Festes entsteht schließlich 1951. Die Elite und Oligarchie gründet das Komitee Pro Fiestas Tradicionales von Oaxaca, um das Kulturgut der Region zu bewerben. Das Fest wird wieder zu einem Spektakel und zu einer kulturellen Industrie mit politischen und wirtschaftlichen Interessen. 1959 erhalten die Festivitäten offiziell den Namen Guelaguetza und ihre moderne Phase wird eingeläutet. Dieser Beginn der modernen Guelaguetza definiert sich durch eine klare soziale Differenzierung und kulturelle Unterscheidung (vgl. Bourdieu 1982). Die einen organisierten und bestimmten (das Festtagskomitee) und die anderen gehorchten und führten aus (die Indigenas). Diese neue Form der Festivitäten geht auf die damals vorherrschende Herrschaftspolitik zurück.

Wie gesagt, legte die politische, wirtschaftliche und intellektuelle Elite (des Nationalstaates) bei der Guelaguetza fest, was indigen war und was nicht und ob die Traditionen, die präsentiert wurden, authentisch waren oder nicht. Die Positionierung der Identität bei der Guelaguetza wurde (und wird immer noch) durch eine „imaginäre“ Vorstellung von indigenen Bräuchen und Traditionen und durch ein bewusstes Einsetzen und Stärken von Stereotypen begriffen. Diese Identitätsbestimmung entwickelte sich im Laufe der Jahre und wurde schlussendlich zur Gewohnheit. Die Ausdrucksformen von Vorurteilen und Stereotypen setzten sich fest und jeder Region wurde darin ihr spezifischer Platz zugewiesen.

Wichtig ist festzuhalten, dass es nicht im Sinne der Organisatoren war, diese Neubestimmung der Identität der Guelaguetza als ein Synonym für „wild/primitiv“ zu etablieren (Quijano, 2006: 153–154). Im Gegenteil: denn das, was auf dem Fest präsentiert wurde (Identitäten), waren nicht mehr die Bräuche der „anderen“ (der indigenen Völker), sondern die von „uns“ (der oligarchischen Elite von Oaxaca) und diese Identität (die Positionierung) von „uns“ musste öffentlich so gut wie möglich dargestellt werden.

Während der sozialen und kulturellen Bewegungen der Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca (Volksversammlung der Völker Oaxacas, kurz APPO) im Jahr 2006 entstand die Guelaguetza Popular als kultureller und sozialer Widerstand gegen die Oligarchie in Oaxaca. Der Kampf um kulturelle Symbole und Positionierungen zwischen dem Pueblo (der Zivilgesellschaft) und der politischen Elite zeigt sich beispielhaft in der Guelaguetza. Die Volksversammlung war nicht gegen die Guelaguetza per se, aber sie schlug ein Volksfest vor, an dem das Volk teilnehmen konnte und das nicht kommerzialisiert werden sollte. Denken wir in diesem Zusammenhang auch an die Feststellung von García Canclini, dass das Kulturerbe die Rettung der historischen und traditionellen Güter als einen wertvollen Identitätsschatz repräsentiert, der nicht zur Diskussion stehen darf, da er die soziale und kollektive Simulation darstellt, die uns zusammenhält, indem sie die nationale Essenz und die Legitimation des Volkes und der Macht reflektiert; es ist die „Theatralisierung des täglichen Lebens und die Simulation, dass es einen Ursprung gibt“ (Canclini, 1990:151-152).

So sollte also die ursprüngliche (zapotekische) Bedeutung der Guelaguetza als ein „gemeinsames Feiern, Beschenken und Opfergaben darbringen“ zwischen den oaxaquenischen Volksgruppen, d.h. „zu geben, um zu gegebener Zeit vom Beschenkten zu bekommen“ wieder in den Vordergrund rücken (Acevedo, 1997:210). In diesem Bestreben der Rückkehr zum „traditionellen Ursprung“ einerseits und den politischen Interessen der Elite andererseits ist das Fest der Guelaguetza wohl seit seinem Entstehen in den spanischen Kolonien bis heute einem Tauziehen zwischen Identität, Macht und Kultur des Widerstands ausgesetzt.


Jesus Nava Rivero ist Kulturwissenschaftler und Kunstkritiker, er arbeitet als freier Autor und Dozent bzw. Lehrbeauftragter in Österreich und Mexiko. Zur Zeit koordiniert er das Projekt global: artfair und ist Direktor des Kulturvereins Cultural Frames.



Literatur

María Luisa Acevedo Conde, Historia de la Fiesta de los Lunes del Cerro. In: Margarita Dalton Palomo / Verónica Loera y Chávez, Historia del arte de Oaxaca. Instituto Oaxaqueno de las Culturas, Oaxaca, México 1997, 357–377.

Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982.

Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987.

Néstor García Canclini, Cultura híbridas. Estrategias para entrar y salir de la modernidad. Editorial Grijalbo, México 1990.

Stuart Hall, Ideologie, Identität, Repräsentation. Dritte Auflage, Argument- Verlag, Hamburg 2010.

Jesús Lizama Quijano, La Guelaguetza en Oaxaca. Fiesta, relaciones interétnicas y procesos de construcción simbólica en el contexto urbano. Centro de Investigaciones y Estudios Superiores en Antropología Social, México, D.F. 2006.