Sicherheitsdispositiv im Buch

Was die internationale Biennale für das ausgehende Jahrhundert war, sei der „terrorfeste Hochsicherheitsbunker“ für die Kunst in der Gegenwart. Zeit wird ausgeschaltet, eine Berührung mit der Gegenwart soll vermieden werden, der „globale Bürgerkrieg“ tobt draußen. Die Künstlerin Hito Steyerl umreißt in ihren gesammelten Essays die Rollen und Funktionen, die Kunst unter Bedingungen der totalen Privatisierung noch zukommen kann und sieht die „Schauplätze der Kunst“ sich bereits „in Zollfreilager und überdimensionale Banktresore in Freeports“ verlagern. Implizit knüpft Steyerl dabei an die Diskussion um die Veränderung von Machtmechanismen und die Reproduktion der herrschenden Ordnung an. Das Politikfeld der Sicherheit, schreibt Anna Kern in ihrer Studie zu deren Bedeutung für städtische Regulierungen, garantiert „grundlegende ökonomische, politische und kulturelle Voraussetzungen für die krisenanfällige neoliberale Produktionsweise“. Bevor sie konkrete Politiken am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main analysiert, durchstreift Kern die sozialwissenschaftliche Sicherheitsdiskussion. Sie wägt verschiedene Sicherheitskonzepte gegeneinander ab und entscheidet sich schließlich für den materialistischen Begriff des Sicherheitsregimes. Aber auch den von Foucault eingeführten Sicherheitsdispositiven, in denen „alle Menschen Objekte von Sicherheit“ sind, wird ihre Erklärungskraft zugestanden.

Foucault entdeckt in den Vorlesungen zur Gouvernementalität die „Notwendigkeit der Inszenierung“ für die Staatsmacht, die Entwicklung eines „bestimmten Kräfteverhältnisses“ und eine neue „Regierungskunst“, in der die Bedürfnisse des Lebens und das Glück der Untertanen gleichermaßen geregelt werden. Sicherheit wird das „Hauptziel der Gouvernementalität“ und Freiheit ist nicht länger ihr Gegenüber, sondern wird „zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Gouvernementalität“. Die Einführung des Sicherheitsdispositivs, so wie Foucault es versteht, führt dazu, dass Macht nicht mehr maßgeblich über Gesetz, Verbot oder disziplinäre Kontrolle ausgeübt wird. Die Sicherheitsdispositive beruhen auf einer „Regulierung und Abwägung von Wahrscheinlichkeiten“, schreibt Mike Laufenberg. Er zeichnet die Foucault’sche Theorie und die Durchsetzung der neuen Regierungstechnik nach und diskutiert dabei, wie dieser biopolitische Zugriff auf das Leben aller sich insbesondere auf die „marginalisierten sexuellen Lebensformen“ auswirkt. Dabei liefert er eine Einführung in Foucaults Denken ebenso wie fundierte Einblicke in queere Theorie und Bewegungsgeschichte. Dass „radikale queer-feministische Inhalte“ vereinnahmt und zur Legitimation staatlicher Sicherheitspolitik genutzt werden, ist der Ausgangspunkt für das Toolkitt von Melanie Brazzell. Wenn etwa Schutzmaßnamen für Frauen zugleich, wie nach der Kölner Silvesternacht 2016, die Bewegungsfreiheit von People of Color einschränken. Die Sicher – heit der einen wird zur Unsicherheit der anderen. Wenn Gewalt gegen Frauen individualisiert und als rein strafrechtliches und polizeiliches Problem angegangen wird, werden, so Lisa Monz in dem anwendungsorientierten Band, „gesellschaftliche und politische Machtverhältnisse, Kontexte, Bedeutungen und Auswirkungen“ ignoriert.


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lebt in Wien.


Melanie Brazzell: Was macht uns wirklich sicher?: Ein Toolkit zu intersektionaler, transformativer Gerechtigkeit jenseits von Gefängnis und Polizei. Münster 2018: edition assemblage.

Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesungen am Collège de France 1977/1978. Frankfurt am Main 2006: Suhrkamp Verlag.

Anna Kern: Produktion von (Un-)Sicherheit. Urbane Sicherheitsregime im Neoliberalismus. Münster 2016: Verlag Westfälisches Dampfboot.

Mike Laufenberg: Sexualität und Biomacht: Vom Sicherheitsdispositiv zur Politik der Sorge. Bielefeld 2014: transcript Verlag.

Hito Steyerl: Duty Free Art. Kunst in Zeiten des globalen Bürgerkrieges. Zürich 2018: Diaphanes Verlag.