Wir sind der Zug, der die Lok antreibt

Gespräch mit Claudia Adamcik und Nima Obaro von der IG DAZ DAF Basisbildung zum Kampf gegen Kündigungen und Abschiebungen.

Lisbeth Kovačič: Die IG DAZ DAF Basisbildung ist eine Selbstorganisierung von Bildungsarbeiter_innen im Bereich Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache und Basisbildung. Im April fand in Wien am Schmerlingplatz, neben dem Parlament, das Protestcamp gegen Kündigungen und Abschiebungen statt. Wodurch sind diese zwei Forderungen verknüpft?
C.A.:
Der Grund für das Protestcamp waren die Kündigungen, hervorgerufen durch die massive Budgetkürzung der Regierung im Bereich der Alphabetisierungs-, Basisbildungs- und Deutschkurse für anerkannte Flüchtlinge und Asylwerber_innen. Bei Start Wien Flüchtlinge – Integration ab Tag 1 [1] haben etwa 60% der Kolleg_innen so wie ich keine Verlängerung ihrer Dienst ver – hältnisse bekommen. Auch beim Wiener Jugendcollege [2] wird um 25% und im Jahr 2019 um 50% gekürzt. Das war für uns der Anstoß, jetzt zu handeln. Wir wollten mit dem Protestcamp eine Öffentlichkeit dafür schaffen und Widerstand erzeugen, weil wir finden, dass im Bildungsbereich nicht gespart werden soll. Wir haben Betriebsrät_innen eingeladen, damit die Kolleg_innen nicht nur auf Betriebsebene zusammenkommen, sondern eine Vernetzung stattfindet. Und dann kam die moralische und politische Frage dazu: Setzen wir uns ausschließlich für uns selbst ein, während es den Kursteilnehmer_innen viel schlechter geht? Wir haben beschlossen, diese zwei Kämpfe zu verbinden. Es gab viele Anstöße, wir sind im Prozess.

Als Integrationsminister hat Sebastian Kurz ja noch total auf Deutschlernen als Maßnahme zur Inklusion gesetzt … Kaum ist er Kanzler, werden die Deutschkurse totgespart. Versteht ihr das?
C.A.: Seitens der Fördergeber_innen wird argumentiert, dass sich die Zahl der Geflüchteten seit 2016 halbiert hat, und dass es deswegen nicht mehr so viel Bedarf gibt.
N.O.: Das Budget wurde aber nicht gekürzt, sondern umgeschichtet. ÖVP-nahe Institutionen wie das ICMPD [3] unter der Leitung von Michael Spindelegger und auch der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) bekommen jetzt mehr Geld.

Was ist deine Situation als Trainerin in der VHS?
C.A.: Unsere Verträge laufen Ende Juni aus und werden nicht mehr verlängert. Die Konsequenz ist, dass viele von uns wieder in prekäre freie Dienstnehmer_innenverhältnisse bzw. zum AMS gedrängt werden.

Welche Forderungen hat die IG DAZ DAF Basisbildung, an wen werden sie gestellt, und gibt es eine Interessenvertretung, die sie ernst nimmt?
C.A.: Eine Hauptforderung seit 2013 ist zum Beispiel, dass wir meinen, die Hälfte unserer Arbeitszeit ist Vor- und Nachbereitungszeit, die kriegen wir aber nicht ausreichend bezahlt.
N.O.: Wir haben versucht, nicht nur als IG, sondern auch als DiE [4], eine Demokratisierung der Gewerkschaften voranzutreiben, weil sie sich zu wenig für unseren Arbeitskampf als prekär Beschäftigte einsetzen und finden es an der Zeit, uns selbst zu organisieren. Wir haben uns bei den Kollektivvertragsverhandlungen mit Transparenten und Straßentheater eingemischt – die Protestformen waren immer sehr kreativ und ermächtigend.
C.A.:
Dass sich Betriebsrät_innen für Freie Dienstnehmer_innen zuständig fühlen, war immer schon ein Kampf. Mittlerweile ist ihr Interesse ein bisschen größer geworden. Aber es ist ein widersprüchliches Verhältnis, weil die Betriebsrät_innen natürlich auch dagegen sind, dass es Freie Dienstnehmer_innen-Verträge gibt. Gleichzeitig setzt sich die Gewerkschaft zu wenig dafür ein, dass es mehr unbefristete Angestelltenverhältnisse gibt. Wir wären als Perspektive gerne mit Lehrer_innen gleichgestellt. Die unterrichten 18–22 Stunden, warum sollen wir dann 30 unterrichten? Es gab eine nationale BABE [5] Betriebsrät_innen-Konferenz vor den KV-Verhandlungen, und wir haben damals gemeinsam mit der DiE Betriebsinterventionen gemacht und Unterschriften gesammelt, damit die Betriebsrät_innen unsere Forderungen in die Verhandlungen mitnehmen können.
C.A.: 2014, zu Beginn der IG DAZ DAF Basisbildung, waren unsere Arbeitsbedingungen das zentrale Thema. Das hat sich durch die Asyl- und Fremdrechtsnovelle 2015 verändert. Die IG ist autonom und eine selbstorganisierte Vernetzungsstruktur. Die Grundidee ist, dass hier verschiedene Kämpfe zusammenkommen können. Die IG versucht das alles unter einem Dach zu koordinieren. Es gibt auch immer wieder Kooperationen, z.B. mit dem ÖDAF [6], der DiE oder dem Netzwerk Sprachenrechte. Wir sind der Zug, der die Lok antreibt – sowohl die Gewerkschaft als auch die Wissenschaft wird von uns gepusht!

Ein Thema mit dem sich die IG im letzten Jahr viel beschäftigt hat sind die im Integrationsgesetz 2017 verankerten „Werte“ als Teil von Deutschkursen und -prüfungen. „Wir sind Lehrer_innen, keine Werte- oder Sprachpolizist_innen“ heißt es dazu in einem Flugblatt der IG.
N.O.: Wir haben vor seiner Ratifizierung im Juni 2017 Stellungnahmen zum neuen Gesetz verfasst. Und im Herbst gab es dann ein Symposium des ÖIF zur Information über diese „Werte“, die nun in Deutschkursen vermittelt werden müssen. Wir haben versucht, uns vor dem Symposium eine Öffentlichkeit zu verschaffen und sind so mit Teilnehmer_innen ins Gespräch gekommen, von denen dann einige zur IG gekommen sind. Während der Vorträge, bei denen uns Wortmeldungen verboten wurden, haben wir uns dann Gehör verschafft.

Was sind nun diese „Werte“, wie sollen sie vermittelt werden, und wie werden sie geprüft?
N.O.: Die „Werte“ wurden vom sogenannten Expert_innenrat für Integration im Auftrag der Uni Wien ausgearbeitet und mit der Verfassung gerechtfertigt. Es geht um Themen wie Müllentsorgung, Hausordnung, Mietverträge, … Das sind unseres Erachtens Dinge, die mit der Verfassung wenig zu tun haben. Es ist eigentlich eine Frage, ob man das Werte nennen will, weil das auch eine Ent-Wertung ist, wenn Menschen als ein defizitäres Kollektiv angesprochen werden, das „zivilisiert“ werden muss. Diese „Werte“ sind ein Konstrukt, um repressive Maßnahmen umzusetzen.
C.A.: Bei der Prüfung sind zum Teil Fragen, die man falsch beantworten müsste, wenn man sie richtig beantworten möchte. „Sind Frauen in Österreich gleichberechtigt, ja oder nein?“ Ich selbst würde wahrscheinlich Nein ankreuzen und hätte dann die falsche Antwort. Es gibt viele Fragen, wo du die falsche Antwort ankreuzen musst, um durchzukommen.
N.O.: Ein zentrales Problem ist, dass der ÖIF das Monopol auf Deutschkurse bekommen hat und damit alleinige Kontrolle über die Kursinhalte und Prüfungsformate ausübt.

Was denkt ihr wie es nach dem Regierungswechsel und dem Machtwechsel im Rathaus im Bereich DAZ DAF Basisbildung weitergeht?
C.A.: Die Branche wird komplett kaputtgespart. Mehr Solidarität untereinander statt „rette sich wer kann“ wäre wünschenswert.
N.O.: Einerseits wird von Mindestsicherungsbezieher_innen Deutsch auf B1-Niveau gefordert, gleichzeitig kürzen sie die Deutschkurse. Es ist ein Skandal, dass es da nicht mehr Aufschrei gibt. Diese Angriffe auf Marginalisierte und Arm-Gehaltene in der Gesellschaft wird man nicht so schnell wieder rückgängig machen können.
C.A.: Also wir plädieren für den Generalstreik – gegen Abschiebungen und Kürzungen und schlechte Arbeitsbedingungen: Sagen wir 1. Oktober, 14h Westbahnhof!


Claudia Adamcik ist DaZ-Trainerin auf der VHS, Nima Obaro ist Basisbildnerin bei Peregrina, beide sind in der IG DAZ DAF Basisbildung aktiv.
Lisbeth Kovačič ist bildende Künstlerin, Filmschaffende und Basisbildnerin bei PROSA – Projekt Schule für Alle.


[1] Alphabetisierungs-, Basisbildungs- und Deutschkurse für Asylwerber_innen in Wien seit Sommer 2017, mehr als die Hälfte des Budgets wird gestrichen.

[2] Modulares Bildungsangebot, das bisher für 1000 Jugendliche (Migrant_innen, Asylwerber_innen, Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte und benachteiligte Jugendliche) zwischen 15 und 21 Jahren Kursplätze angeboten hat.

[3] International Center for Migration Policy Development, beschäftigt sich mit der Erfassung, Auswertung und Zerschlagung von internationalen Flüchtlingsbewegungen und Fluchtrouten.

[4] Deutschlehrende In der Erwachsenenbildung, Zusammenschluss für arbeitsrechtliche Kämpfe, seit 2017.

[5] Berufsvereinigung der Arbeitgeber_innen privater Bildungseinrichtungen.

[6] Österr. Verband für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Interessenvertretung, Forschung, sprachenpolitische Stellungsnahmen.