„… den Prozeß des Verhandelns in den Vordergrund zu rücken …“

Andere in der Ferne im Gespräch mit Anke Dyes, Anna Jehle, Benjamin Meyer-Krahmer und Clemens von Wedemeyer

Bildpunkt: Ihr habt eine Ausstellung mit dem Titel fremd kuratiert, eine Kooperation des GRASSI Museums für Völkerkunde zu Leipzig und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB). Darin geht es u.a. um die Präsentationsformen ethnologischer Museen. Ähnlich wie die Ethnologie als akademische Disziplin waren auch die ethnologischen Museen Akteure einer gesellschaftlich sehr wirkmächtigen Unterscheidung in Eigenes und Fremdes. Beide beanspruchten, Bilder von Anderen in der Ferne zu vermitteln. Dass sie diese Bilder und damit überhaupt die Andersheit der Anderen erst erzeugten, steht heute weitgehend außer Frage. Geht es in der Ausstellung mehr um eine Rekonstruktion vergangener Repräsentationseffekte oder mehr um deren aktuelles Fortwirken?

CvW: In der Ausstellung beschäftigen sich 27 Studierende mit dem GRASSI Museum für Völkerkunde. Es gab vorbereitende Seminare zu Repräsentation, zu Methoden von Kritik, aber auch zu postkolonialen Themen. Als wir die Vorschläge der Studierenden ansahen, stand die Beschäftigung mit dem Fremden bzw. der Produktion des Fremden in der Präsentation dieses Museums bei vielen im Mittelpunkt. Hier wird das Fortwirken der in kolonialer Zeit gegründeten Völkerkunde anhand der Dauerausstellung im GRASSI Museum ebenso beleuchtet wie die Effekte, die ein solches Museum auf seine Besucher*innen hat. Gerade in einer Zeit, in der in Deutschland Flüchtlinge angegriffen werden, weil sie „anders“ seien, schien es uns auch wichtig, die Konstruktion des Anderen in einem ethnologischen Museum zu hinterfragen.

BMK: Ich würde sagen, es geht uns um das aktuelle Fortwirken bestimmter Präsentationsweisen, die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Diese Präsentationsweisen haben schon immer dazu beigetragen, Fremdheit zu produzieren, aber das Verständnis von Fremdheit ist nicht statisch, sondern verändert sich u.a. in Abhängigkeit von aktuellen politischen Diskursen. Der Bezug zur Situation von Geflüchteten wäre vor einigen Jahren sicher weniger präsent gewesen als er es jetzt ist. Ethnologische Museen sind hier zur Zeit besonders gefordert, sowohl was die Befragung der Dichotomie fremd/vertraut (?) angeht, aber auch der Kultur-Begriff selbst sollte Diskussionsgegenstand werden, um die Problematik des Konstrukts ‚kulturelle Identität’ adressieren zu können.

AD: Den Titel gibt es in verschiedenen Varianten, fremd – is a cooperation, fremd – is here, fremd – open usw. kündigen die Ausstellung an und ihre institutionellen Rahmen. Zugleich ist die Art, wie das Museum formal sortiert und kategorisiert, vom Leitsystem bis zu den verschiedenen Display-Varianten, die die Dinge verdoppeln und mit heute eigentlich kaum noch lesbaren inhaltlichen Kategorien verknüpfen, auch für künstlerische Ansätze interessant. Der Diskurs mag akademisch angekommen sein, aber im Museum lässt er sich noch ziemlich gut als Konflikt aufführen, was sich auch in der zum Teil starken Kritik an der Ausstellung zeigt.

Bildpunkt: Im letzten Bildpunkt hat der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger die These vertreten, die „selbstkritische Beschäftigung der eigenen Fachgeschichte“ sei fester Bestandteil der europäischen Ethnologie. Das Interesse an einer solchen Ausstellung von Seiten des GRASSI Museums weist ja in eine ähnliche Richtung. Gab es von eurer Seite als externe KuratorInnen bestimmte „Gesten des Zeigens“ – so haben die Museologinnen Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch die Deutungen genannt, die jedes Museum durch sein Display vorgibt –, die ihr unbedingt thematisiert haben wolltet?

AD: In der Dauerausstellung im GRASSI Museum werden zwei verschiedene Strategien verfolgt: Einmal werden die Dinge und die Regionen überdeutlich geordnet und kategorisiert, durch die Display-Farben (rostrot für Australien, weiß für die Polar-Region), durch Vitrinen-Überschriften, durch Wandtext usw. und zugleich scheint es darum zu gehen, die Objekte möglichst nah, möglichst verlustfrei vor Ort zu präsentieren, es werden Panoramen gebaut, Soundcollagen abgespielt, Häuser nachgebaut, Region nachgeahmt usw. – ein paar Studierende spielen in ihren Arbeiten darauf an (der Audiowalk, oder die Ventilatoren, die die Kulissen „beleben“). Der Ausstellungsplan, eine Karte, die durch die Gänge der Ausstellung leitet, mehr als durch die „Regionen der Erde“, arbeitet auch mit diesen Gesten.

CvW: Viele der Studierende haben sich mit den Vitrinen beschäftigt, die in der Dauerausstellung des GRASSI Museum den vorgegebenen Parcours begleiten. Uns war es wichtig, dass es auch die Möglichkeit gibt, Vitrinen zu verändern und Objekte anders zu platzieren. Das wurde auch an einigen Stellen durch das Museum ermöglicht und führte dort zu neuen Erzählungen in Relation zum Gegebenen. Ein früherer Direktor des Museums wird so vom Akteur zum Exponat, indem seine gewöhnlich im Treppenaufgang stehende Büste in einer Vitrine platziert wird (Julia Zureck). Die Glasscheiben der Vitrinen wurden an vielen stellen zu Trägern von Bedeutungen, indem Schrift darauf platziert (Vanessa Opoku), Videos projiziert (Frank Holbein, Katrin Winkler) oder fast ganz abgeklebt wurde, um den Blick auf die Dinge zu thematisieren (Jamal Cazaré).

BMK: Zu den zentralen Effekten von ethnographischen „Gesten des Zeigens“ gehören Exotisierung, Othering und Ent – historisierung, die alle in verschiedenen Arbeiten reflektiert werden, teils explizit teils eher assoziativ. Während Exotisierung und Othering oft gut erkennbar sind, ist der Entzug von Zeitlichkeit und damit das Ausblenden von Geschichte und Veränderung subtiler. Steht man vor den Vitrinen eines ethnologischen Museums, wird in der Regel nicht deutlich, ob es sich bei den präsentierten Objekten um Elemente einer aktuellen oder einer vergangenen Lebensweise handelt. Es werden durch diese Form des Präsentierens von Objekten statische „Kulturen“ konstruiert, deren kleinster gemeinsamer Nenner es ist, „fremd“, d.h. „anders“ zu sein.

AJ: Identität und Zugehörigkeiten sind und waren immer eine Konstruktion. Kategorien wie „eigen“ und „fremd“ sind in diesem Sinne kontinuierlich in Veränderung begriffen, im Prozess. Historisch wie gegenwärtig ist dieser Prozess der Bestimmung der Unterschiede, der In- und Exklusion, ein konstituierendes Element politischer Organisation/des Zusammenlebens, der immer auch reale und oft gewalttätige Konsequenzen hat. Ich denke es ist wichtig, schon wegen der realen Alltagskonsequenzen, den Prozess des Verhandelns in den Vordergrund zu rücken. Dazu will die Ausstellung beitragen.

Bildpunkt: Künstlerische Perspektiven auf und Interventionen in ethnologische Sammlungen sind zu einem festen Bestandteil der Handwerkskiste geworden, mit der ethnologische Museen versuchen, ihrer Existenz neuen Sinn zu verleihen. Die dadurch meist fortgeführte Trennung in Kunst und Ethnografika kann hier ebenso problematisch sein wie das Begehren der Erhaltung dieser Institutionen an sich. Gibt es von eurer Seite (Selbst-) Kritik an dieser Entwicklung?

BMK: Nanette Snoep, die seit Februar 2015 Direktorin des GRASSI Museum für Völkerkunde ist, hat uns eingeladen, eine Ausstellung zu kuratieren, die sich mit dem Museum, seiner Geschichte und der Dauerausstellung auseinandersetzt. Angesichts der von der Direktorin öffentlich vorgestellten Pläne einer grundlegenden Neukonzeption des Museums, verstehen wir die Ausstellung als einen ersten Beitrag zu diesem Veränderungsprozess. Es schien uns also eine Situation gegeben zu sein, in der es nicht bei einer ‘kritischen’ Ausstellung bleibt, um dann wieder zur Arbeit zurückzukehren als sei nichts geschehen.

AD: In der Dauerausstellung sind fast ausschließlich Interventionen zu sehen, die sich direkt auf diese beziehen, also spezifische Vitrinen überarbeiten oder auf das Licht/die Luft im Raum eingehen und so die Bedingungen des Ausstellens thematisieren. Ansätze und Arbeiten die „raus“ führen aus dem Museum, finden in einem gesonderten Ausstellungsraum statt.

CvW: Die Entgrenzung der Kunst ist praktischer Teil vieler interessanter Unternehmungen in der Kunst. Wenn solche Interventionen wie die Ausstellung „fremd“ in einem Museum zu einer radikalen Hinterfragung der Institutionen selber werden, ist das auch im Sinne der Ausbildung von KünstlerInnen, die in einer veränderbaren Welt die Gesellschaftskritik auch als Selbstkritik formulieren sollten. In der Ausstellung fremd positionieren sich die Beteiligten von einer Kunsthochschule in in Leipzig, in Deutschland, heute. Neben der Kunst gibt es hier auch gesellschaftliche Sorgen.

AJ: Die Diskussion, als „Nische der Kritik“ instrumentalisiert zu werden, haben wir natürlich geführt. Überzeugt hat uns vor allem, dass fremd der Beginn einer längeren Beschäftigung ist. Die Reihe GRASSI invites, zu der fremd den Auftakt bildet, lädt zunächst in den kommenden zwei Jahren Universitäten, Kunsthochschulen, Vereine aber auch KünstlerInnen oder KuratorenInnen ein, sich mit der Dauerausstellung zu beschäftigen, sich direkt auf diese zu beziehen oder weitreichendere Fragen zu thematisieren. Diese Kooperationen sollen die Basis von größer angelegten Umstrukturierungen der Sammlungspräsentation sein, die über temporäre Interventionen hinausgeht und bereits mit einigen „Ausräumaktionen“ begonnen hat. Wir sind keine EthnologInnen und sind auch die Ausstellung nicht mit dem Anspruch angegegangen, dem Museum eine „Lösung“ für seine Legitimationskrise zu entwerfen. Das können wir auch nicht.

Bildpunkt: Wie seht ihr die Zukunft des ethnografischen Museums?

CvW: Es könnte sich auflösen als eine Mischung aus surrelistischem Atelier und lebendigem Archiv, das Menschen und Objekte global in Bewegung erhält. Zur Zeit ist die Sammlung nach Regionen geordnet. Wenn man dafür sorgt, dass jedes Objekt autonom sein darf, kann man sie restituieren, neu ordnen, an andere Orte bewegen, künstlerisch und kuratorisch damit arbeiten.

AD: Ich dachte am Anfang mal, ein ethnografisches Museum in Leipzig könnte auch so funktionieren: Ich miete eine Halle in Möckern und hänge lauter Leipziger Kunst da rein und nenne es „Ethnografisches Museum“. Andererseits: Es könnte, in einer zum aktuellen Stand der Ethnologie aufgeschlossenen Form, als der Ort funktionieren, der Kategorien auch für andere Orte und Zusammenhänge problematisch macht, für historische Museen, für Kunstmuseen, für andere Orte der (Selbst)Repräsentation.

AJ: Eine Möglichkeit für die Zukunft könnte sein ein Display zu entwickeln, das das Zustandekommen der Sammlungen und die Motivationen dahinter transparent macht, sie in einen größeren Kontext einbettet und gleichsam auf die spezifischen Umstände des jeweiligen Museums verweist. Wer spricht mit welcher Intention zu welcher Zeit? Die Ausstellungsstücke und deren Präsentation werden nicht nur ob ihres kulturellen oder ästhetischen Wertes (oder zur Unterstützung eines fiktiven Narrativs) ausgewählt, sondern als Träger von Informationen über den sich ständig verändernden Blick auf „andere“ Kulturen und die „Gewalt des Zeigens“, sowie deren Modifizierung und Fortwirkung. Das wäre dann quasi eine Art Museum für Ausstellungsgeschichte und ein Museum für Fragen des Zeigens in einem weiteren Kontext. Eine derartige Konzeption hat die Einbindung oder alleinige Verantwortung von außer-europäischen KuratorInnen und KünstlerInnen als Vorraussetzung.

BMK: Ob das ethnologische Museum eine Zukunft hat, hängt davon ab, inwiefern es in der Lage sein wird, für die Diskussion der in ihm verhandelbaren brisanten Fragen (u.a. Kultur, Fremdheit, Kolonialismus, Geschichte des Zeigens), eine Form zu finden. Was bislang völlig fehlt – und eine Voraussetzung für den Erhalt der Institution sein sollte – ist ein Bezug zur Gegenwart. Wichtig wären zudem einige historisierte ethnologische Museen, die die seit ihrer Gründung praktizierten Präsentationen bewahren, um sie als Teil der Geschichte musealen Zeigens, aber auch als eine Form kolonialer Machtausübung sichtbar zu machen.


Anke Dyes ist künstlerische Mitarbeiterin in der Klasse Expanded Cinema, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Anna Jehle ist als freie Kuratorin in institutionellen und freien Kontexten tätig. Benjamin Meyer-Krahmer ist Vertretungsprofessor für Kunstgeschichte und Bildwissenschaft an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Clemens von Wedemeyer lebt und arbeitet in Berlin. Z. Zt. Professur an der HGB Leipzig für Expanded Cinema.

Das Gespräch wurde im April 2016 von Jens Kastner und Sophie Schasiepen per Email geführt.